Strukturaufstellungsarbeit und Körperwahrnehmung

Nutzen der Aufstellungsarbeit

Die Fähigkeit, in einer Aufstellung als Repräsentant:in zu fungieren und Unterschiede körperlich wahrzunehmen haben wir alle, ohne dafür ein Training zu benötigen. Nutzen der Aufstellungsarbeit für den beruflichen und persönlichen Alltag entstehen dabei wie von selbst. Die Fähigkeit, Eigenes vom Nicht-Eigenen zu unterscheiden wächst, ebenso die Fähigkeit, sich schneller in die Position, die Sichtweise, die Gefühle, die Haltung der anderen hineinzuversetzen.

Alltagswahrnehmung versus Wahrnehmung in einer Aufstellung

In gewisser Weise finden Aufstellungen ständig statt, aber sie finden mit vielen “Nebengeräuschen” statt, wie eine Großgruppe, in der viele miteinander sprechen und so im Raum ein Rauschen erzeugen. Es bedarf daher einer ganz besonderen Situation, damit man manchmal eine einzelne Stimme von einem Freund oder einer Freundin aus einer großen Menschenmenge heraushören kann.

In einer Strukturaufstellung entsteht ein besonderer Raum in einer lösungsfokussierten Atmosphäre und eine besondere Fokussierung der Aufmerksamkeit, die uns ermöglicht, unsere Körperwahrnehmungen, Gefühle und Empfindungen deutlicher wahrzunehmen als in Alltagssituationen.

Die Repräsentant:innen können in einer Aufstellung Beziehungsstrukturen und deren Veränderungen wahrnehmen. Diese Wahrnehmungen sind nicht spezifisch für die einzelnen Personen, sondern spezifisch relativ zu einer bestimmten Situation. In einer Aufstellung sind wir in einer Weise “Organe eines umfassenden Körpers”. Wir stellen uns mit unseren Wahrnehmungsmöglichkeiten in den Dienst einer Gruppe, eines Anliegensystems.

Wir lernen durch das Hineingehen in und wieder Hinausgehen aus der repräsentierenden Wahrnehmung, in welcher Weise wir in einen intensiven Kontakt mit unseren Wahrnehmungen kommen, in welcher Weise sie sich verändern und mit anderen Teilen des aufgestellten Systems zusammenhängen. Wir nehmen wahr, in welcher Weise wir auf zum Teil minimal veränderte Körperhaltung anderer, auf einen kleinen Schritt, einen kurzen Blickkontakt, ein einzelnes Wort reagieren.

In einer Aufstellung haben wir intensive, manchmal sanfte, manchmal heftige, aber sehr deutlich erlebte Veränderungen unserer Körperwahrnehmungen, unserer Gefühle. Es geht so weit, dass wir relativ stark veränderte Körperwahrnehmungen stabil für eine halbe Stunde oder länger haben können und sie dann plötzlich verschwinden in dem Moment, in dem die Aufstellung beendet ist. Es gibt natürlich auch ein allmähliches Abklingen.

Strukturaufstellung als Mittel zur Wahrnehmungsschulung

“Wären Aufstellungen nicht nützlich in Therapie und Beratung, so wären sie immer noch ein großartiges Mittel zur Schulung von Wahrnehmungsformendie man nicht als Eigenschaften einer Einzelperson ansehen kann” meint Matthias Varga von Kibéd, der Systemische Strukturaufstellungen gemeinsam mit Insa Sparrer entwickelt hat.

Diese Wahrnehmungsfähigkeit, die praktisch jede und jeder von uns hat, können wir trainieren. Wenn wir immer wieder in Aufstellungen stehen, verbessern wir unsere Fähigkeit, uns schneller in die Position, die Sichtweise, die Gefühle, die Haltung der anderen hineinzuversetzen. Durch die Repräsentation der Leiterin eines Teams, kann jemand erfahren, wie es wäre, Leiterin dieses spezifischen Teams zu sein, aber auch generell wie es wäre, Leiterin eines Teams zu sein. Vielleicht entsteht dadurch eine etwas veränderte Sicht für das Geschehen im eigenen Team im Alltag. Durch das Achten auf Körperwahrnehmungen in einer Aufstellung werden wir daran erinnert, auf unsere immer vorhandenen, aber teilweise verschütteten Körperwahrnehmungen im Alltag stärker zu achten.

Die auftretenden Empfindungen, während jemand eine Rolle in einer Aufstellung repräsentiert, gehören zunächst immer zu diesem fremden System. Erinnern solche Empfindungen an eigene Erfahrungen, so treten sie in Resonanz mit dem eigenen System und gehören damit gleichzeitig zum fremden und zum eigenen System. Solche für Aufstellungs-Neulinge anfangs manchmal irritierende Erfahrungen machen es möglich, viel für die eigene Situation zu lernen. Solche Erfahrungen fördern mit der Zeit unsere Fähigkeit, Eigenes und Fremdes im Alltag zu unterscheiden. Eine sehr nützliche Fähigkeit, um uns in so komplexen Systemen wie Organisationen davor zu bewahren, in fremde Schauplätze zu geraten.

Unwillkürliche Prozesse und intuitives Wissen werden genutzt

Strukturaufstellungsarbeit bietet nach Gunther Schmidt einen “optimalen Zugang” dazu, unwillkürliche Prozesse mitzuerfassen und zu nutzen. Jede Person, die sich auf eine Aufstellungserfahrung als Repräsentant:in einlässt, werden neue Möglichkeiten eröffnet, wo jemand zum eigenen Staunen erleben und erfahren kann, welche Erlebnispotenziale in ihr da sind, auf die sie nicht gekommen wäre.  Da bin ich Opa, dort ein Teamleiter oder eine überpersonale Kraftquelle. Das alles und viel mehr wird im gleichen Körper erlebt, was jenseits jeder Methodik eine grundsätzliche Erweiterung des Selbstbildes  und des Selbstwirksamkeitsraums ermöglicht.

Während einer Aufstellung merken die Klient:innen durch Resonanz mit eigenen Körperwahrnehmungen und mit Unterstützung von Berater:innen bzw. Strukturaufsteller:innen, wann das Erlebte stimmig ist. Die einzige Autorität, die das bestimmen kann ist der Erlebende selbst mit seinem Organismus, mit seinem Wissen aus dem Intuitiven. Das wird bei Strukturaufstellungen durch Methodik, aber vor allem und vielmehr durch die Haltung der die Strukturaufstellung anwendenden Berater:in praktiziert.

Esin Suvarierol, 2021

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